Ob Gesundheitsberatung, Unterstützung bei Behördenwegen oder Hilfe bei der Jobsuche – Sozialberaterin Christine Nagl ist seit vielen Jahren eine wichtige Ansprechperson für Sexarbeiterinnen in Salzburg. Wir haben sie zum Sonntagstalk in einem Salzburger Bordell getroffen.
Seit über 30 Jahren kämpft Christine Nagl für die Rechte von Sexarbeiterinnen. Die Hälfte dieser Zeit steht sie Sexarbeiterinnen als Sozialberaterin bei der Salzburger Fachberatungsstelle PiA zur Seite. Dort unterstützt sie unter anderem bei der Jobsuche, berät zu Gesundheit und Safer Sex und hilft bei bürokratischen Aufgaben.
Im S24-Sonntagstalk spricht Nagl über die Vielfalt an Menschen in der Sexarbeit, die alltäglichen Herausforderungen, denen Sexarbeiterinnen in Salzburg begegnen – und warum ihr größter Wunsch ist, irgendwann überflüssig zu sein.
SALZBURG24: Warum sprechen wir heute eigentlich von Sexarbeiterinnen und nicht mehr von Prostituierten?
Christine Nagl: Weil das ein selbstgewählter Begriff der Bevölkerungsgruppe ist, die in der Sexarbeit tätig ist. Der Begriff Prostitution ist sehr negativ behaftet. Es wird über Zwangsprostitution, Kinderprostitution und so weiter gesprochen. Sexarbeit oder Sexwork signalisiert, dass es um eine berufliche Tätigkeit geht, die Anerkennung von Gesellschaft und Politik und natürlich auch die dementsprechenden Rechte verdient hat.
Wer arbeitet in Salzburg als Sexarbeiterinnen?
Für mich wäre die Frage leichter zu beantworten: Welche Personen arbeiten als Sexarbeiterinnen nicht? Aus jeder Personengruppe kenne ich Menschen, die in Salzburg der Sexarbeit nachgehen. Im illegalisierten Bereich Studentinnen österreichischer oder deutscher Herkunft, Pensionistinnen Sozialarbeitende. Ich glaube, ich habe noch nichts an Berufsgruppen nicht getroffen. Genauso von den Nationalitäten her. Es ist total bunt. Es gibt nicht „die Sexarbeiterin“. Es gibt aus unterschiedlichen Bereichen Menschen, die sich zu Sexarbeit entscheiden und es können auch Menschen sein, die diese Dienstleistungen vielleicht nur ein, zweimal im Jahr anbieten, weil zum Beispiel irgendwas mit einer Stromnachzahlung nicht funktioniert.
Wenn es „die Sexarbeiterin“ nicht gibt, gibt es dann vielleicht „den Freier“?
Ich tue mir bisschen schwer mit dem Begriff „Freier“, weil man kann den nicht Gendern kann. Ich würde mir wünschen, dass auch Frauen oder weiblich gelesene Personen in Bordelle kommen können und dieses Bedürfnis ausleben können. Deshalb verwende ich den Begriff Kund:in, weil das einfach viel umfassender ist. Der oder die Kund:in ist eine Person, die vielleicht zu Hause im Bett liegt mit einer schweren Behinderung und nur kuscheln möchte oder vielleicht mehr möchte aber nicht mehr kann. Es ist der Mensch, der an die Bar kommt und vielleicht zu einer Psychotherapeutin gehen sollte, dann aber mit einer Sexarbeiterin seine Probleme die ganze Nacht durchkaut. Das kann eine Gruppe junger Männer sein, die irgendwie nach irgendeinem Fest ins Bordell kommt. Das ist alles. Das ist der Politiker, der Staatsanwalt. Das kann auch das Pärchen sein, das verheiratet ist, aber nicht miteinander, und das sein Sexleben aufpeppen will. Es gibt nichts, was es nicht gibt.
Wenn es Menschen wie dich braucht, heißt das aber auch, dass Sexarbeiterinnen in Salzburg im Beruflichen oder im Alltag auch vor Herausforderungen stehen.
Ja, natürlich. Und mein Lebenswunsch wäre, dass es diese Form der Beratung mal nicht mehr brauchen würde. Ich würde das gerne aufgeben oder einstampfen. Aber die Herausforderungen sind da. Oft geht es um strukturelle Gewalt, sprich Probleme mit den Behörden. Zum Beispiel mit den Gesundheitsämtern oder der Polizei. Es sind ganz verschiedene Problemlagen, wo Diskriminierung und Stigmatisierung an der Tagesordnung stehen. Oft kann man diese Probleme und Anliegen gar nicht mehr lösen, weil die Personen einfach aufgeben und gar nicht mehr kämpfen wollen.
Den Sonntagstalk auf SALZBURG24 gibt's jetzt wieder jede Woche. Am kommenden Sonntag, 22. Dezember, spricht Nicole mit Stefanie Brucker, Leiterin der Sozialberatung im Haus Elisabeth der Caritas, über Einsamkeit und Armut. Einfach reinhören!